Der Fiat 500 steht in der Einfahrt, der erste Besucher ist mit einer Vespa gekommen. Im Haus riecht es nach frischgemahlenem Espresso, die gefüllten Amalfi-Zitronen mit dem Spezialrezept stehen bereit, im Backofen wartet ein besonderes Pizzabrot. Wo sind wir? Nicht an der Amalfi-Küste, sondern in einem gemütlichen Wohnzimmer in Michelstadt. Dort wohnt Raffaela, die zusammen mit der Ehrenamtsagentur des Odenwaldkreises die erste „Weltreise durch Wohnzimmer“ veranstaltet hat und von ihren Gästen nur beim Vornamen genannt werden möchte.
Bei der „Weltreise durch Wohnzimmer“ öffnen Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, für zwei Stunden ihr Wohnzimmer, um von sich, ihren Familien und ihrem Herkunftsland zu erzählen.
Die zwölf Gäste, die sich eingefunden haben, werden mit einem italienischen Aperitif herzlich willkommen geheißen. Im Türdurchgang steht auf Italienisch: „Jede Reise erlebt man drei Mal: beim Erträumen, beim Erleben und in der Erinnerung“. Und etliche Erinnerungen wurden wach im „Casa Raffaela“. Die 62-jährige Gastgeberin hat viel zu erzählen: von ihrem Land, ihrer persönlichen Geschichte und ihrem Weg nach Deutschland. Sie kam 1967 mit zehn Jahren mit ihrer Schwester aus Maiori an der Amalfiküste zu ihrem Vater nach Höchst im Odenwald.
Er gehörte zur ersten Gastarbeitergeneration aus Italien, verdiente Geld und half, die schnell wachsende Wirtschaft in Deutschland aufzubauen. „Wir bleiben nur für zwei Jahre“, war die Ansage. Die kleine Raffaella musste sich, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, in ihrer neuen fremden Welt zurechtfinden. Deutsch lernte sie ohne besondere Sprachkurse mühsam in der Schule und spielend leicht beim Wandern, denn die nette Nachbarin schenkte ihr Kniebundhosen, Strümpfe und nahm sie mit auf die Wanderungen des Odenwaldklubs.
Mit solchen kleinen Anekdoten, Bildern und kulinarischen „Großartig-Kleinigkeiten“ lernten die Gäste bei dieser „Weltreise durch Wohnzimmer“ viel über Land und Leute aus erster Hand. Auch dass es wichtig ist, seine Wurzeln zu behalten, denn in Raffaellas Brust schlagen zwei Herzen: eines für die alte und eines für die neue Heimat und beide sollen ihren Platz behalten. Die Gäste erfuhren auch typische Eigenheiten der Kulturen und was Deutschland in 70 Jahren aus Italien für sich mitgenommen hat. Zum Beispiel sind das Leben auf den Straßen und Plätzen, die Mode, der caffè (Espresso) und viele andere Leckereien nicht mehr wegzudenken.
Aus den ursprünglich angesetzten zwei Stunden wurden drei und beim Abschied wurde sich, ganz italienisch, herzlich gedrückt und nicht förmlich die Hand geschüttelt. Ein Gast befand: „semplicemente fantastico“ – einfach fantastisch.
(Bericht von der Ehrenamtsagentur des Odenwaldkreises)