Der Fiat 500 steht in der Einfahrt, der erste Besucher ist mit einer Vespa gekommen. Im Haus riecht es nach frischgemahlenem Espresso, die gefüllten Amalfi-Zitronen mit dem Spezialrezept stehen bereit, im Backofen wartet ein besonderes Pizzabrot. Wo sind wir? Nicht an der Amalfi-Küste, sondern in einem gemütlichen Wohnzimmer in Michelstadt. Dort wohnt Raffaela, die zusammen mit der Ehrenamtsagentur des Odenwaldkreises die erste „Weltreise durch Wohnzimmer“ veranstaltet hat und von ihren Gästen nur beim Vornamen genannt werden möchte.

Bei der „Weltreise durch Wohnzimmer“ öffnen Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, für zwei Stunden ihr Wohnzimmer, um von sich, ihren Familien und ihrem Herkunftsland zu erzählen.

Die zwölf Gäste, die sich eingefunden haben, werden mit einem italienischen Aperitif herzlich willkommen geheißen. Im Türdurchgang steht auf Italienisch: „Jede Reise erlebt man drei Mal: beim Erträumen, beim Erleben und in der Erinnerung“. Und etliche Erinnerungen wurden wach im „Casa Raffaela“. Die 62-jährige Gastgeberin hat viel zu erzählen: von ihrem Land, ihrer persönlichen Geschichte und ihrem Weg nach Deutschland. Sie kam 1967 mit zehn Jahren mit ihrer Schwester aus Maiori an der Amalfiküste zu ihrem Vater nach Höchst im Odenwald.

Er gehörte zur ersten Gastarbeitergeneration aus Italien, verdiente Geld und half, die schnell wachsende Wirtschaft in Deutschland aufzubauen. „Wir bleiben nur für zwei Jahre“, war die Ansage. Die kleine Raffaella musste sich, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, in ihrer neuen fremden Welt zurechtfinden. Deutsch lernte sie ohne besondere Sprachkurse mühsam in der Schule und spielend leicht beim Wandern, denn die nette Nachbarin schenkte ihr Kniebundhosen, Strümpfe und nahm sie mit auf die Wanderungen des Odenwaldklubs.

Mit solchen kleinen Anekdoten, Bildern und kulinarischen „Großartig-Kleinigkeiten“ lernten die Gäste bei dieser „Weltreise durch Wohnzimmer“ viel über Land und Leute aus erster Hand. Auch dass es wichtig ist, seine Wurzeln zu behalten, denn in Raffaellas Brust schlagen zwei Herzen: eines für die alte und eines für die neue Heimat und beide sollen ihren Platz behalten. Die Gäste erfuhren auch typische Eigenheiten der Kulturen und was Deutschland in 70 Jahren aus Italien für sich mitgenommen hat. Zum Beispiel sind das Leben auf den Straßen und Plätzen, die Mode, der caffè (Espresso) und viele andere Leckereien nicht mehr wegzudenken.

Aus den ursprünglich angesetzten zwei Stunden wurden drei und beim Abschied wurde sich, ganz italienisch, herzlich gedrückt und nicht förmlich die Hand geschüttelt. Ein Gast befand: „semplicemente fantastico“ – einfach fantastisch.

(Bericht von der Ehrenamtsagentur des Odenwaldkreises)

 

 

 

 

 

 

 

Zum zweiten Mal haben sich ReiseleiterInnen und Reisende in der Event-Küche La Cucina in Rheda-Wiedenbrück getroffen, um gemeinsam zu kochen. 30 Erwachsene und 10 Kinder aus 13 Nationen (China, Deutschland, der Dominikanischen Republik, Indien, dem Irak, Kuba, den Niederlanden, Peru, Ruanda, Rumänien, Russland, Syrien und der Ukraine) haben von 15 Uhr bis 22 Uhr Zeit miteinander verbracht, um miteinander zu kochen, ins Gespräch zu kommen, Freundschaften zu vertiefen oder aufzubauen, zu essen und dann die Rezepte auszutauschen. Auf dem Menüplan standen:

Vorspeisen

Ruanda: Chiapati

Irak: Koutelek (Grießteigtaschen) mit Möhren und Spinat

Niederlande: Senfsuppe

Indien: Batata Wada (Kartoffelbällchen mit Koriander-Minzsoße)

Syrien: Taboulé (Petersiliensalat)

 

Hauptgerichte

Syrien: Teigtaschen mit Hackfleisch mit Joghurt

Deutschland: Püfferchen mit Rübenkraut

Russland: Pelmeni (Teigtaschen mit Hackfleisch)

China: gebratener Reis

Dominikanische Republik und Kuba: Reis mit schwarzen Bohnen und frittierte Bananen

Deutschland: Rosenkohlauflauf

Peru: Guiso de Garbanzos (Kichererbseneintopf)

 

Nachspeisen

England: Applecrumble mit Vanillesoße

Deutschland: Westfälische Quarkspeise mit Pumpernickel

Niederlande: Olibollen (Krapfen)

Deutschland: Beerentraum

 

Es hat viel Spaß gemacht und die Gerichte waren sehr lecker. Eine Neuauflage dieses Kochevents in 2021 ist sehr wahrscheinlich.

 

 

 

  

 

  

 

  

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Jahresauftakt zeigen wir 30 Fotos unserer 60 x 40 cm großen Weltreise durch Wohnzimmer Fotos in der Kassenhalle der Kreissparkasse Halle/ Westfalen. Die Vhs Ravensberg hat uns anlässlich des Semesterauftaktes eingeladen, die Weltreise durch Wohnzimmer öffentlich bis zum 29.1.2020 zu präsentieren. Es handelt sich um eine Wanderausstellung, die wir gerne auch in andere Städte in zwei großen Aluboxen auf Rädern schicken. Auf den Fotos sind Wohnzimmerreisen nach China, in die Niederlande, nach Peru, in die Ukraine, nach Frankreich und Rumänien zu sehen. Fragen Sie uns einfach an, wenn Sie die Ausstellung in Ihrer Stadt zeigen möchten.

Kurz vor dem Jahresende hat Patricia ein Treffen im griechischen Restaurant vereinbart, um sich näher kennenzulernen und die Weltreise durch Wohnzimmer bekannter zu machen. Inzwischen haben Wohnzimmerreisen schon in  98 unterschiedlichen Städten stattgefunden. Auf dem Foto sind potenzielle Reiseleiterinnen aus den Niederlanden, Ecuador, der Dominikanischen Republik und Kuba, die sich vorstellen können, auch einmal in ihr Wohnzimmer einzuladen und von sich und ihren Herkunftsländern zu berichten.

Anlässlich der Woche des bürgerschaftlichen Engagements im September haben drei Reiseleiterinnen und drei Reiseleiter ihre Wohnzimmer im Kreis Gütersloh geöffnet. Daraufhin haben sich am 27. Oktober 2019 alle Beteiligten (Reisende und ReiseleiterInnen) zum Austausch Ihrer Reiseerlebnisse beim Frühstück in dem integrativen Café Anker Villa in Rheda-Wiedenbrück getroffen. Alle TeilnehmerInnen saßen an 4er bis 6er Tischen und kamen aus 20 verschiedenen Ländern: China, Deutschland, Ecuador, El Salvador, England, Frankreich, Guinea, Irak, Iran, Niederlande, Peru, Uganda, Rumänien, Russland, Spanien, Syrien, Türkei, Ukraine, USA und Venezuela. Die Tischordnung war so gewählt, dass alle an diesem Vormittag neue Menschen kennengelernt haben und ihr persönliches Netzwerk vergrößert und bereichert haben. Vor dem Verabschieden nach drei Stunden wurden fleißig Handynummern ausgetauscht, um weiterhin in Kontakt zu bleiben.

Liebe Dr. Buhmann Stiftung, wir danken Ihnen von Herzen, dass Sie den Austausch über die Weltreisen durch Wohnzimmer hinaus in diesem Rahmen ermöglicht haben. An der heiteren Atmosphäre und den angeregten Gesprächen an den Tischen war gut zu erkennen, wie sehr alle Betieligten die gemeinsame Zeit miteinander genossen haben.

9/2019

Wir merkten sofort bei der Begrüßung im Treppenhaus, wie sehr sich Zülfiyya über die 13köpfige Reisegruppe freut. Eigentlich war die Gruppe einen Hauch zu groß für ihr Wohnzimmer, aber Zülfiyya ist der Meinung, dass beim Empfang von Gästen die Größe des Herzens entscheidender ist, als die Größe des Wohnzimmers. Wie wahr!

Sie erarbeitet sich so nach und nach ihren Lebensweg in Deutschland. Grundsätzlich gefällt es ihr hier gut, aber der Umgang der Familien mit ihren Eltern bzw. Großeltern im hohen Alter schockiert sie stark. Sie hat den Vater eines deutschen Freundes oft hier im Altersheim besucht und kann sich nicht mit der Existenz von Altersheimen anfreunden.  In Aserbaidschan kümmern sich grundsätzlich die Kinder um die älter werdenden Eltern. Üblicherweise sind die alten Eltern abwechselnd bei den Kindern für ein zwei Wochen, so dass der Kontakt, die Fürsorge und Versorgung der Älteren sich auf mehreren Schultern der Kinder verteilt.

Zülfiyya hat uns von den reichen Bodenschätzen Aserbaidschan erzählt, von den 9 Klimazonen, dem Schulsystem, den schmackhaften, sonnenverwöhnten Früchten und Gemüsesorten ihres Herkunftslandes.

In Aserbaidschan ist es normal, sich in drei Sprachen perfekt ausdrücken zu können: Aserbaidschanisch, Türkisch und Russisch. Das ist sehr beeindruckend.

Die Tafel war von Zülfiyya reich gedeckt mit köstlichen Speisen und ein Reisender sagte „Irgendwie fühlt es sich bei dir an, als wäre ich bei der eigenen Familie zu Besuch.“

Ja, wir fühlten uns von Zülfiyya mit ihrer Herzenswärme umarmt.

Vielen Dank, Zülfiyya, dass du uns dieses Gefühl vermittelt hast.

 

 

9/2019

Zübeyde lebt seit ihrem siebten Lebensjahr in Deutschland und ist ähnlich gern in Deutschland wie in der Türkei.

Während der zweistündigen Reise, kamen immer mal Familienmitglieder ins Wohnzimmer und begrüßten die Reisegruppe. So haben wir nach und nach den Ehemann und die beiden erwachsenen Söhne kennengelernt und konnten auch ihnen Fragen zu ihrem Leben stellen.

Zübeyde hat uns über ihr anstrengendes Leben mit Schichtarbeit und Versorgung der Familie erzählt, von ihrer Arbeit in der Moschee-Gemeinde, von ihren Freundinnen, die sie einmal im Monat in großer Runde trifft, von ihrer Verwandtschaft in der Türkei und von ihren Plänen fürs Alter.

Der älteste Sohn hat von der Möglichkeit an türkischen Universitäten Klausuren auf Deutsch, Englisch oder Türkisch abzulegen berichtet.

Zübeyde hat uns köstlich bewirtet und ihr Mann hat reichlich Tee nachgeschenkt. Wir fühlten uns sehr willkommen.

Wir dürfen jederzeit wieder zu ihr kommen. Einfach klingeln und ein bisschen quatschen.

Danke Zübeyde!

 

 

9/2019

Mayuri hat uns in einem wunderschönen rotgoldblauen Sari (4 m Stoffbahn, gekonnt um ihren Körper gewickelt) mit Linsen, gebratenen Auberginen und Kartoffelklößchen begrüßt.

Anhand ihrer Hochzeitsfotos hat sie uns unterschiedliche indische Rituale erläutert.

Durch Mayouris Erzählungen konnten wir ein bisschen in ihr indisches Leben eintauchen:

  • die strenge Erziehung in einer Klosterschule (vom Kindergarten bis zum Abitur) in Kalkutta nur für Mädchen, Schuluniform, kurze Fingernägel, keine Schminke, Englisch als Unterrichtssprache, wenn Hindi gesprochen, wurde gab es eine Strafgebühr von einer Rupie
  • ihre Studienzeit mit 2tägigen Zugfahrten, wenn sie von einer in die andere Stadt fuhr

Mit dem Flugzeug von Deutschland nach Indien zu fliegen, dauert 8 Stunden. Kein Vergleich zu den anstrengenden Zugfahrten, die sie innerhalb von Indien gewohnt war. Da ihr Vater bei der indischen Bundesbahn (Indian Railways) und für seine Familie freie Fahrt mit der indischen Bahn hatte, kam es nicht in Frage, alternative Verkehrsmittel zu benutzen.

Als Mayouris Lieblingsfest hat sie uns das Durga-Fest erläutert. Durga ist die Göttin der Vollkommenheit – mit acht Armen und drei Augen. Das Fest ist von der Wichtigkeit vergleichbar mit unserem Weihnachtsfest. Zu dem Fest bekommen die Frauen und Mädchen immer Saris als Geschenk. Quasi das Outfit für die kommenden 12 Monate bis zum nächsten Durga-Fest.  Mit 12 geschenkten Saris wäre man für das kommende Jahr gut aufgestellt.

Jedem Touristen, der gerne mal nach Indien reisen möchte, empfiehlt Mayouri in Goa die Indienreise zu beginnen, um sich langsam auf die sehr ungewohnte Umgebung einzulassen.

Mayouri, 1000 Dank, dass du uns als Reisende empfangen hast. Es war sehr beeindruckend, von dir und deinem Geburtsland zu hören.

 

9/2019

Thierno musste sich beeilen: um 14 Uhr endet samstags sein Deutschkurs und um 15 Uhr hatten sich schon die Reisenden angekündigt. Es sollte Reis mit Süßkartoffeln, Fleisch und Erdnusssoße geben. Da haben wir ihm doch gern geholfen und die Süßkartoffeln kleingeschnitten und frittiert und das Fleisch kleingeschnitten und gegart. Thierno hat es dann mit Erdnusssoße abgeschmeckt und allen Reisenden hat es gegen 16 Uhr sehr gemundet.

Thierno hat von seinem alten Leben in Guinea erzählt und von seinem neuen Leben in Deutschland. Er ist im zweiten Lehrjahr in einer Maler- und Lackiererausbildung. Die Arbeit mach ihm viel Spaß. Thierno wohnt in einer Dreier-WG mit zwei Kumpels aus Afrika, die auch eine Ausbildung absolvieren: Koch und Maurer.

Thierno hat uns von der schönen Natur in Guinea vorgeschwärmt (Berge, Flüsse und Inseln) und Fotos aus seiner Heimat mit seiner Familie gezeigt.

Wir konnten uns gar nicht vorstellen, dass manche Menschen in Guinea keine Adresse, keinen Briefkasten und kein Konto haben. Alle drei zu besitzen, ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit.

Thierno, deine lebensfrohe Art hat uns sehr beeindruckt.

Vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

9/2019

Reza ist bildender Künstler und somit öffnet er uns sein lichtdurchflutetes Künstleratelier.

Wir können einen Teil seiner und einige Werke seiner Kunstschüler bestaunen.

Reza strahlt eine große Ruhe und Weisheit aus. Er erzählt von seinen ersten Eindrücken in Deutschland bei seiner Ankunft vor 35 Jahren, von seiner Arbeit und seinem Studium im Iran und dem Neuanfang in Deutschland.

Reza berichtet von der herzlichen Gastfreundschaft in seinem Geburtsland, von der Suppe, die aus 17 Kräutern besteht, vom Neujahrstisch, auf dem 6  Dinge, die mit „S“ anfangen stehen, von dem Duft von Eukalyptus und Nelken, von 37 Kulturen, die es im Iran gibt, von seinen Geschwistern, von seinem Dorf und seiner Stadt und noch von Vielem mehr.

Zwei Stunden waren viel zu schnell um.  Wir hätten noch stundenlang weiter zuhören können.

Danke, Reza, für deine Offenheit.

8/2019

Der WDR dreht ein Sommerspecial zum Thema Reisen und wir wurden gefragt, ob wir ihnen erlauben, eine Weltreise durch Wohnzimmer zu drehen.

Drei spannende Frauen sollen dokumentiert werden: Annelie, die pilgert, Kim, die im Rollstuhl reist und Margarita, die ihr Wohnzimmer zehn Unbekannten öffnet und von ihrem Geburtsland Peru erzählt.

Margarita hat Lust auf „das Abenteuer Fernsehen für einen Tag“.

Zu dritt reist das Team des WDR an und begleitet Margarita bei den Vorbereitungen für ihre Wohnzimmerweltreise ( Essen für die Reisenden zubereiten, die peruanische Tracht anziehen) und bei der Reise selbst.

Margarita erzählt von ihrem Dorf in den Anden, von Festen, den Unterschieden von deutschen und peruanischen Festen und vielen Traditionen.

Sie reicht als Snack Causa, einen peruanischen Kartoffelauflauf, der kalt gegessen wird.

Margarita liebt es, zu singen und zu tanzen und so bleibt es für alle Reisenden ein unvergessliches Erlebnis.

Liebe Margarita, danke dass du so mutig warst, deine Wohnzimmerreise auch dem Fernsehpublikum zu zeigen.

Liebes WDR-Team, vielen Dank, dass Sie Interesse an unserem horizonterweiternden Begegnungsprogramm haben.

Ab Minute 19 ist Margarita zu sehen, aber die Berichte von Annelie und Kim sind auch sehr sehenswert:

 

https://wdrmedien-a.akamaihd.net/medp/podcast/weltweit/fsk0/199/1990629/frautv_2019-08-29_maedelsabendedasreisetagebuchdreifrauendreiabenteuer_wdr.mp4

Syrische Herzlichkeit
Syrien duftet nach starkem Kaffee und schmeckt nach Kardamom – so zumindest ist der erste Eindruck der kleinen Reisegruppe, die sich in der kleinen Wohnung unseres Gastgebers Esmail versammelt. Denn kaum haben alle am Boden auf den Kissen und Decken Platz genommen, geht Esmail mit einer wunderschön verzierten Kaffeekanne herum und schenkt starken, bitteren, mit Kardamom gewürzten Kaffee ein. Die Kaffeetassen rotieren, denn es ist üblich, sich die Tasse mit anderen Gästen zu teilen. Wer gerne nachgeschenkt bekommen möchte, hält die Tasse still, wer genug hat, wackelt ein bisschen mit ihr herum. Selbst das Kaffeetrinken ist somit ein Prozess in Gemeinschaft – wie sehr die Gemeinschaft in Syrien im Mittelpunkt steht, sollte die Reisegruppe an diesem Abend noch in vielen Details erfahren.
Esmail stammt aus einer Kleinstadt in der Nähe von Damaskus, ganz nah an der libanesischen Grenze. Bereits 2011 kam er für seine Promotion nach Deutschland. Durch den Krieg in Syrien ist eine Rückkehr im Moment ausgeschlossen. Ginge er jetzt nach Syrien, würde man ihn sofort ins Militär einziehen. Die Bilder, die er uns an diesem Abend auf seinem Computer von Syrien zeigt, sind alle vor dem Krieg aufgenommen. Aktuellere Fotos möchte er nicht zeigen und vielleicht selbst auch gar nicht sehen. Stattdessen nimmt Esmail die Reisenden mit in eine uralte Kulturregion, die seit Jahrtausenden am Schnittpunt zwischen Europa, Asien und Afrika von den unterschiedlichsten Kulturen geprägt ist. Ein typisch syrisches Viertel lässt sich deshalb nicht mit einem Wort beschreiben. Sunniten, Alawiten, Juden, Christen, Kurden – sie alle leben Tür an Tür, ihre Gotteshäuser stehen in direkter Nachbarschaft, gemeinsam feiern sie das muslimische Zuckerfest ebenso wie Weihnachten. „Der Krieg in Syrien ist kein Bürgerkrieg“, sagt Esmail. Die Bürger bekämpfen sich nicht. Es ist ein Weltkrieg, den die unterschiedlichsten Mächte auf einem kleinen Gebiet austragen.
Doch der Krieg soll an diesem Abend nicht im Vordergrund stehen. Nach acht Jahren in Deutschland hat Esmail seinen deutschen Gästen auch viel über sie selbst zu erzählen. Denn nachdem so viele Menschen aus seinem Kulturraum nach Deutschland kamen, sieht er, wie Deutsche und Syrer in vielen Alltagsituationen auf Missverständnisse stoßen, ohne es selbst zu merken. Wer seine eigene Kultur verlässt und in einer neuen ankommen möchte, muss mehr verstehen als nur die neue Sprache. Gestik, Mimik, alles, was zwischen den Zeilen gesagt wird – für ihn als Syrer waren diese Details noch viel schwieriger zu erlernen als die deutsche Sprache an sich. Anhand vieler Beispiele entführt Esmail seine Gäste deshalb in eine Welt voller kommunikativer Herausforderungen. So waren seine Gesprächspartner anfangs ihm gegenüber äußerst skeptisch, da er ihnen beim Reden nicht in die Augen schaute (was in Syrien aber ein Zeichen des Respekts ist). In Syrien ist es auch normal, jemanden mit großem Hallo und viel Zuneigung zu begrüßen, obwohl man sich gerade erst tags zuvor kennen gelernt hat. Wenn jemand etwas erzählt, unterbrechen die Zuhörer mit vielen Zwischenrufen und eigenen Erzählungen, weil sie so zeigen, dass sie dem Erzählten gespannt folgen. Und anstatt eine Einladung einfach direkt auszuschlagen, wird mit vielen Worten ausgeführt, dass man versuchen wird, die Einladung anzunehmen. Für einen Deutschen bedeutet das „ja“, ein Syrer versteht darin die beabsichtigte Absage. In Syrien steht in der Kommunikation immer das Gefühl im Vordergrund, mit Worten, Berührungen, Lautstärke und Überschwang versichert man sich seiner gegenseitigen Zuneigung. Die knappe, direkte Kommunikation in Deutschland steht dazu in einem starken Gegensatz, merken die Wohnzimmerreisenden.
Nach so vielen spannenden Einblicken in die syrische Kultur haben sich alle eine Stärkung verdient. Auf dem Boden breitet Esmail deshalb allerhand arabische Leckereien aus. Syrisches Fladenbrot, das die Gäste in Olivenöl und Zatar (eine Gewürzmischung aus wildem Thymian und Kumin) tunken, sauer eingelegte Aubergine, gefüllte Weinblätter, Humus, Kichererbsen und Saubohnen, Labaneh (ein eingedickter Joghurt), Halawa (eine süße Paste aus Pistazien und Zucker) und natürlich Datteln, Oliven und Sonnenblumenkerne. Gegessen wird mit den Händen. Eine der Reisenden zückt eine Packung Papiertaschentücher für alle, falls beim ungewohnten Essen doch mal etwas Öl danebengeht.
Nach einem Abend in Esmails Wohnzimmer nehmen die Reisenden viele neue Erkenntnisse mit. Einige selbsterlebte Missverständnisse werden ihnen jetzt erst deutlich, viel Neugier auf die arabische Kultur wurde geweckt. Aber auch etwas Wehmut nehmen die Gäste mit, denn das Syrien, das Esmail beschreibt, wird niemand so schnell selbst kennen lernen können. Esmail sagt, dass er viel gewonnen, aber auch viel verloren hat. Ein syrisches Zuhause lässt sich nicht so einfach in Deutschland wieder aufbauen. In Syrien würde man kaum auf die Idee kommen, überhaupt einmal umzuziehen. Man bleibt in der Nähe seiner Familie, kennt jeden Stein und jedes Haus in der Nachbarschaft. In der Freizeit rollt man einfach einen Teppich vor dem Haus aus, nimmt eine Kanne Tee mit und bleibt dort kaum eine Minute allein, weil sich sofort Nachbarn und Freunde hinzugesellen. Doch in Deutschland hat Esmail auch viel gewonnen. Er genießt mehr Freiheit. Außerdem hat ihn die Erfahrung, sich auf eine neue Kultur einzulassen, prinzipiell offener werden lassen. Er sagt, er begegnet Menschen jetzt nur noch als Menschen. Herkunft, Hautfarbe, Religion, Sexualität – nichts davon spielt mehr eine Rolle. Auch diese herzliche Offenheit ist bei unserem letzten Wohnzimmerabend für alle deutlich zu spüren gewesen.
شكرا (Shukraan) Esmail!

(Bericht von Lisa Osterburg, Franckesche Stiftungen, Halle an der Saale und Foto von Anna Kolata)